Ich kann mich gut erinnern, wie ich als sechsjähriger Bub eines Tages in der Unterhose in der Turnhalle stand und keine Ahnung hatte, was ich da tun sollte.
Kurz zuvor war ich mit meiner Mutter und meinen Schwestern aus Kolumbien in die Schweiz zurückgekehrt, sprach kein Wort Deutsch und verstand einfach oft nicht, was um mich herum passierte. Ich hatte nur beobachtet, dass die anderen Kinder alle kurze Hosen trugen. – Die einzige, die ich hatte, war meine Unterhose … Ich versuchte mich anzupassen. Für meine Mitschüler war das natürlich ein grosser Spass.
Abgekapselt
Damals kämpften meinen Schwestern und ich mit allem Überlebenswillen darum, in einem für uns völlig fremden Land Fuss zu fassen. Wir fühlten uns nicht willkommen und stemmten uns gegen das Unverständnis, die Ausgrenzung und die seelischen Verletzungen, die damit einhergingen.
Heute beobachte ich viele Migranten in Europa, die auch in Jahren die Landessprache nicht lernen und sich nur unter ihren Landsleuten bewegen, um Verletzungen und Unverständnis zu vermeiden. Auf diese Weise bilden sich Parallelgesellschaften, die nicht vereinbar sind mit der sie umgebenden Gesellschaft. Integration bleibt so ein ungelöstes Dauerthema.
Aufgrund meiner eigenen Erfahrungen kann ich deshalb nur betonen, wie wichtig es ist, die Sprache des Landes zu sprechen, in dem du lebst – so gut und vollständig, wie nur möglich. Denn erst, wenn die Einheimischen merken, dass es dir wichtig ist, sie zu verstehen, wirst du ernst genommen und kannst wirklich ankommen.
Unerkannt
Aber Unverständnis und Ausgrenzung können auch andere Gründe haben als Fremdheit und Sprachbarrieren. Mir begegnen immer wieder Menschen, die sich von ihrer Umwelt nicht verstanden fühlen. Sie fühlen sich nicht zugehörig, können sich nicht so beteiligen, wie sie gerne wollen und werden von ihren Mitmenschen abgelehnt. Die Zurückweisung aber ist eines der schmerzhaftesten Gefühle, die ein Mensch erfahren kann.
Besonders tief gehen solche Verletzungen, wenn sie schon in der frühen Kindheit empfangen werden. Wenn die Eltern nicht offen sind, die Seele ihres Kindes zu erkennen und anzunehmen, wird das Kind unter Umständen schon im Säuglingsalter zurückgewiesen. Die seelischen Wunden können diesen Menschen bis ins Erwachsenenalter beschäftigen.
Wo bin ich daheim?
Wenn du dich immer wieder unverstanden und zurückgewiesen fühlst, ist dir vielleicht genau so eine frühe Zurückweisung widerfahren. In welchem Alter, spielt dabei nur insofern eine Rolle, als dass du wahrscheinlich auf weniger Erinnerungen zurückgreifen kannst, je früher die Verletzung auftrat.
In jedem Fall kannst du dich fragen, was andere Menschen an dir nicht verstehen. Betrachte die Momente genauer, wo du immer wieder Zurückweisung erlebst. Welche Assoziationen kommen in dir hoch, wenn du an diese Momente zurück denkst? Vermutlich haben alle diese Momente ein gemeinsames Element. Frage dich, welches es ist, und nimm gedanklich die Perspektive der anderen ein: Warum verstehen sie dich in diesen Momenten nicht? Und was kannst du ändern, damit sie dich besser verstehen? Baue deinen Mitmenschen eine Brücke zu dir.
Viele werden diese Brücke vielleicht nicht betreten. Dann gib nicht auf! Irgendwann triffst du einen Menschen, der offen und bereit ist, deine Einladung anzunehmen und die Brücke zu betreten. Das Gefühl, von diesem Menschen verstanden und angenommen zu werden, wird sich anfühlen wie eine Vervollständigung. Es ist wie ein Heimkommen.
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